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Vor allem Familien mit Kindern von Neuregelung der Mindestsicherung betroffen

Vor allem Familien mit Kindern sind von der Mindestsicherungsreform betroffen.
Vor allem Familien mit Kindern sind von der Mindestsicherungsreform betroffen. ©pixabay.com (Sujet)
Über die Hälfte der Mindestsicherungsbezieher lebt in Familien mit Kindern, zeigen die Zahlen der Statistik Austria für das Jahr 2016. Die Regierung hat eine Reform angekündigt, durch die vor allem Familien mit mehreren Kindern künftig mit starken Kürzungen rechnen müssen. Je nach Bundesland könnte es auch für Alleinerzieherinnen mit drei oder mehr Kindern weniger Geld geben.
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Wie aus Zahlen der Statistik Austria hervorgeht, lebte 2016 mehr als die Hälfte der Mindestsicherungs-Bezieher in Familien mit Kindern. Demnach gab es in ganz Österreich 307.533 Bezieher (173.484 in Wien). Davon lebten 98.192 Bezieher in Paar-Haushalten mit Kindern (davon 58.705 in Wien), weitere 59.050 in Alleinerzieher-Haushalten mit Kindern (28.946 in Wien). 113.231 waren Alleinstehende, 16.962 Paare ohne Kinder. Dazu kommen noch weitere Haushalte wie zum Beispiel solche mit mehreren volljährigen Personen.

Großteil der Bezieher in Familien mit Kindern

Wirklich aussagekräftig sind die Zahlen der Statistik Austria aber nicht, denn zahlreiche für die Debatte relevante Fragen können damit (noch) nicht beantwortet werden. Unklar ist etwa, wie viele Bezieher österreichweit berufstätig sind und mit der Mindestsicherung ein niedriges Erwerbseinkommen “aufstocken”. Auch ob – wie von der Regierung suggeriert – tatsächlich vor allem Zuwanderer von den Kürzungen betroffen wären, ist unklar. Und verlässliche Zahlen über die durchschnittliche Bezugsdauer gibt es ebenfalls noch nicht.

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Aufschluss auf all diese Fragen soll nach Auskunft der Statistik Austria erstmals die Mindestsicherungs-Statistik für 2017 geben, die bis Ende Juni erstellt und dann dem Sozialministerium übermittelt wird. Für ihre Reform wollte die Regierung diese Zahlen aber nicht abwarten und hat ihre Pläne bereits am Montag vorgelegt.

Demnach müssen vor allem Familien mit mehreren Kindern mit Kürzungen rechnen. 2016 lebten den Zahlen zufolge 26.501 Bezieher in Paar-Haushalten mit drei Kindern und 27.960 mit vier Kindern oder mehr. In Alleinerzieher-Haushalten mit drei Kindern leben 9.734 Personen, weitere 7.146 mit vier Kindern oder mehr.

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Die Regierung will nun die Mindestsicherungs-Sätze ab dem zweiten Kind stark kürzen. Wie hoch diese Verluste ausfallen, wird von Hilfsorganisationen erst berechnet und hängt vom jeweiligen Bundesland ab. Ein Beispiel: In Niederösterreich hat derzeit jedes Kind Anspruch auf rund 199 Euro monatlich, in Wien sind es 233 Euro. Künftig soll das erste Kind 216 Euro erhalten, das zweite 129 und jedes weitere nur noch 43 Euro monatlich.

Für Alleinerzieherinnen werden diese Kürzungen durch eine Bonus-Zahlung etwas abgefedert. Sie erhalten für das erste Kind zusätzlich 100 Euro, für das zweite 75, für das dritte 50 und für jedes weitere 25 Euro. In der Praxis könnte das nach Einschätzung von Experten aber auch für sie Kürzungen ab dem dritten Kind bedeuten.

Mindestsicherungsreform: Blümel von Verfassungskonformität überzeugt

Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) zeigt sich überzeugt davon, dass die gestern von der Bundesregierung vorgestellte Neuregelung der Mindestsicherung vor dem Verfassungsgerichtshof hält. Wiens Landesparteiobmann sieht Handlungsbedarf in der Bundeshauptstadt – lebe doch mehr als die Hälfte aller Mindestsicherungsbezieher hier. Blümel geht von einem Einsparungsvolumen von 80 Millionen Euro pro Jahr aus.

Verfassungsrechtliche Bedenken hat der Minister keine, die Reform sei “absolut” rechtskonform, habe man sich das letzte VfGH-Erkenntnis zu der Materie doch sehr genau angesehen. Die neue Lösung enthalte daher keinen starren Deckel, sondern gebe den notwendigen Spielraum. Auch was die Wartefrist betrifft, sei eine Differenzierung zu EU-Ausländer gerechtfertigt, meinte Blümel.

Blümel: Mindestsicherung zu bedingungslosem Grundeinkommen geworden

Die Mindestsicherung sei ursprünglich eine “gute Idee” gewesen, in Wien sei sie jedoch unter der rot-grünen Landesregierung zu einem bedingungslosen Grundeinkommen geworden, kritisierte der Wiener ÖVP-Chef. Über 50 Prozent aller Mindestsicherungsbezieher wohnen in der Bundeshauptstadt. Die Kosten für die rund 200.000 Personen belaufen sich auf 650 Mio. Euro jährlich. Die Neuregelung ermögliche ein Einsparungsvolumen von 80 Mio. Euro im Jahr, drängt Blümel auf die Umsetzung. Der nicht amtsführende Stadtrat Markus Wölbitsch (ÖVP) sieht den neuen Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) gefordert, fürchtet jedoch einen “Kniefall” vor dem linken Flügel in der SPÖ.

Der Kanzleramtsminister betonte weiters, dass die neue Regelung “so kommen wird”. Die Bundesländer hätten lange genug Zeit gehabt, eine einheitliche Lösung zu finden. Er verwies außerdem auf den Umsetzungsspielraum für die Länder, der eine Unterschreitung ermöglicht. Kritik, wonach zu wenige Deutschkurse angeboten würden, kann Blümel nicht nachvollziehen, denn das erwähnte Einsparungsvolumen könnte direkt in Kurse fließen.

Für AK-Experten “problematisch”

Die gestern präsentierten Pläne der Bundesregierung für eine Reform der Mindestsicherung halten Experten der Arbeiterkammer (AK) für “problematisch”: Durch die Kürzungen bei Familien mit mehreren Kindern und die Maßnahmen bei anerkannten Flüchtlingen werde die Armutsgefährdung steigen, sagte AK-Ökonomin Sylvia Leodolter am Dienstag am Rande einer Pressekonferenz in Wien.

AK-Ökonom Markus Marterbauer fordert mehr Unterstützung bei der Qualifizierung, insbesondere durch Deutschkurse. Das Integrationsjahr für Flüchtlinge sollte bleiben. Die Regierung sollte die aktuelle Hochkonjunktur und die gute Budgetlage nutzen, um in die Qualifizierung von Arbeitslosen und prekär Beschäftigten zu investieren, damit sie am Arbeitsmarkt teilnehmen können. Das würde zwar kurzfristig Kosten verursachen, wäre aber mittel- und langfristig eine lohnende Investition, weil sie nicht mehr auf Sozialleistungen angewiesen wären.

Ludwig möchte “nicht automatisch Nein sagen”

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat am Dienstag erstmals Stellung zu den Mindestsicherungsplänen des Bundes bezogen – und dabei eher verhalten Kritik geübt. Er wolle “nicht automatisch Nein sagen” und “von vornherein alles ablehnen”, sagte Ludwig. Die Kürzungen bei Kindern sieht er kritisch. Konkret äußern könne er sich aber erst mit Vorliegen des genauen Gesetzesentwurfs.

“Wenn ich den Eindruck habe, dass Teile der Wiener darunter leiden werden, werde ich mich auch kritisch zu Wort melden”, sagte der Stadtchef. Der Gedanke der Wirtschaftlichkeit sei schon wichtig, “muss aber immer im Einklang mit sozialer Gerechtigkeit stehen”.

Ablehnend zeigte sich Ludwig angesichts der geplanten Einschleifregelung für Kinder. Dass man für ein drittes Kind nur noch 15 Euro bekommen soll, könne er sich “schwer vorstellen”. Denn für alles, was mit Familie und Kindern zu tun habe, habe er “erhöhte Sensibilität”, ließ der Bürgermeister wissen. Für eine detaillierte Beurteilung brauche es aber einen Gesetzestext, derzeit seien die Pläne nur Überschriften.

(APA/Red)

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